Theaterprojekt „Der gute Mensch von Sezuan“ - Erfahrungsbericht des Regisseurs

Autor: 上海歌德 Datum: Mi, 01/02/2019 - 11:17 Tags: Veranstaltungen

Es war schon lange unser Plan, dieses Stück von Bertolt Brecht auf die Bühne zu bringen, und dafür gibt es viele Gründe: Bertolt Brecht ist der „chinesischste“ unter den großen deutschsprachigen Autoren, Bewunderer und Kenner chinesischer Kultur von Laozi, Mengzi, Zhuangzi über Bai Juyi bis Mao Zedong. Als Autor war er ebenso ambitioniert wie uneitel als Privatperson: In seinen letzten Lebensjahren lief er meist in einem schlichten verschlissenen Mao-Anzug (in China kennt man ihn als Sun Yat-Sen-Anzug - 中山装)umher, der neben der Zigarre zu seinem Markenzeichen wurde.

Der „Gute Mensch von Sezuan“ ist auch Brechts Tribut an seine China-Begeisterung: Das Stück ist offensichtlich von der chinesischen Oper inspiriert (Brecht sah 1935 eine Aufführung von Mei Lan Fang in Moskau). Es enthält einige Textanleihen bei chinesischen Autoren: eine freie Übersetzung eines Gedichts von Bai Juyi sowie einen von Zhuangzi inspirierten Text über die „Leiden der Brauchbarkeit“.

Das Stück ist ein Versuch über die Schwierigkeit „gut“ zu sein in einer durch die Gesetze des Marktes bestimmten Welt. Die Titelfigur Shen Te ist eine herzensgute Person, eine Frau, die „nicht nein sagen kann“ und sich irgendwo in der Provinz als Prostituierte durchschlägt. Als sie sich von einer größeren Geldsumme, die drei Götter ihr schenkten, einen Tabakladen kauft, fallen alsbald allerlei Bittsteller, alte Freunde, Neffen und Nichten über sie her, die hoffen, ein „Stück vom Kuchen“ abzubekommen. Da sie ihren eben eröffneten Laden mit ihrem Egoismus und ihrer Gier zugrunde zu richten drohen, hilft sie sich schließlich mit einer List: Sie erfindet sich ein Alter Ego: einen „bösen“ energischen Vetter Shui Ta, der die Schmutzarbeit für sie verrichtet und all den rücksichtslosen, nur auf ihre egoistischen Ziele ausgerichteten Mitmenschen die Stirn bietet.

Als wir das Stück im Mai 2018 erstmals lasen, schienen uns Parallelen zu neueren politischen Entwicklungen, etwa der Flüchtlingskrise 2015 in Europa, offensichtlich. So sagt auch Shen Te in unserer Textfassung, als sie einer heruntergekommenenen Großfamilie in ihrem Tabakladen Obdach gewährt, jenen berühmt gewordenen Satz Angela Merkels von 2015: „Wir schaffen das!“

Allerdings verbietet sich bei einem Text dieser Qualität die Verengung auf nur eine (politische) Schiene: das Stück hat noch andere philosophische Implikationen und auch eine ganz einfache existenzielle Ebene: Jeder Mensch kann früher oder später in ähnliche Konfliktsituationen geraten wie die Protagonistin in Brechts Stück, in denen er sich entscheiden muss, ob er der „Shen Te“ oder dem „Shui Ta“ in sich Gehör schenkt.

Ein Problem der Originalfassung des Stücks war seine Überlänge: Es umfasst ca. 110 Seiten und 30 Rollen und war in dieser Form für uns kaum spielbar. Durch starke Kürzungen schufen wir schließlich eine eigene freie Fassung mit ca. 50 Seiten und 20 Rollen, in der aber der Kern des Stückes unangetastet blieb.

Das Erlernen der Texte blieb dennoch für die Darsteller der Hauptrollen (Markus Seitz, Martin Kuroczik, Ebru Palitain und vor allem Li Jia als Shen Te und Shui Ta) eine Herausforderung.

In unserer Probenarbeit legten wir Wert auf eine dem „epischen Theater“ von Brecht angemessene Spielweise: Die Schauspieler sollen dabei immer eine gewisse Distanz zu ihren Rollen bewahren, nie vollständig damit verschmelzen, sie kommentieren gelegentlich ihr eigenes Verhalten und können sich mit Kommentaren und Fragen direkt ans Publikum wenden.

Wir schufen eine zusätzliche Spielebene, indem wir eine Moderatorin hinzuerfanden, die manchmal die Vorstellung unterbricht, das Publikum nach seiner Meinung fragt, über den weiteren Verlauf der Handlung abstimmen lässt oder gemeinsam mit ihm ein Gedicht von Bai Juyi (in deutscher Übersetzung) einübt.

Ein Anliegen unserer Inszenierung ist die Begegnung und Verschmelzung von chinesischer und deutscher Kultur in Bertolt Brechts (imaginärem) „Sichuan“. - Dazu trägt die Musikauswahl, ein Mix aus chinesischer und westlicher Musik ebenso bei wie einige Anleihen beim traditionellen chinesischen Theater: So wird etwa die reiche Hausbesitzerin Frau Mi Tzü in einer improvisierten Sänfte (轿子)auf die Bühne getragen - ein Auftritt im Stile der traditionellen Guangdong Oper.

Der Probenprozess wurde manchmal durch Neu- und Umbesetzungen erschwert: Auf Grund von Krankheiten und beruflichen Verpflichtungen fielen immer wieder Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus.

Diese Schwierigkeiten konnten nur duch den doppelten Einsatz anderer Teilnehmer und Teilnehmerinnen wettgemacht wurden: Einige Darsteller spielten bei den Proben oft 3 oder mehr Rollen und sprangen manchmal selbst innerhalb einer Szene zwischen verschiedenen Rollen hin und her.

Als besonders fruchtbar erwies sich wie in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit Künstlern von der Theaterakademie Shanghai ( Bühnenbildmitarbeit: Afei, Lichtdesign: Axun). Kostüme und Requisiten stammten teils aus einem kleinen eigenen Fundus, den wir im Lauf von fünf Produktionen angelegt haben, teils kauften wir sie günstig bei Taobao oder in der Qipu Lu.

Das Theater auf dem südlichen Campus der Tongji- Universität und jeweils ca. 80 Zuschauer boten für unsere zwei Aufführungen am 15. und 16. 12. einen angenehmen und angemessenen Rahmen.